
Die Führer des Parteienbündnisses Vereinigtes Tora-Judentum (VTJ) haben Premierminister Benjamin Netanjahu aufgefordert, alle Gesetze zur Justizreform sofort auszusetzen, bis das Gesetz über die Einberufung orthodoxer Jeschiwa-Schüler zu den israelischen Streitkräften verabschiedet ist. Die Führer der jüdischen Orthodoxie haben in den letzten Monaten erkannt, dass die Justizreform nicht unbedingt im Interesse der orthodoxen Juden im Land ist, da sie zu einer wachsenden Opposition gegen die Orthodoxie in der israelischen Gesellschaft geführt hat, insbesondere im Zusammenhang mit der Wehrpflicht. Die orthodoxe Webseite Kikar HaShabat (die ich sehr gerne verfolge) erklärte kürzlich, dass die Justizreform gestoppt werden müsse, bis es eine breite Einigung mit der Opposition gebe.
Ich verstehe das Problem der beiden Seiten sehr gut, denn in der Großfamilie Schneider gibt es einen orthodoxen Zweig. Keines der neun Kinder in der Familie meiner Schwester ist zum Militär gegangen, sondern hat schnell geheiratet. Die Männer studieren nur die Tora und alle anderen Bücher drumherum, und die Frauen gehen arbeiten. Zwei verschiedene Welten, aber bei Familienfeiern sind wir immer noch eine Familie. Es ist schon vorgekommen, dass meine Jungs in Uniform und mit Gewehren zu den Hochzeiten ihrer Cousins gegangen sind. Mit meiner Schwester diskutiere ich das nicht. Jeder dient dem Volk auf seine Weise. „Deine Kinder an der Front und meine Kinder lernen die Tora und beten.“ Das ist ihre Position und die der jüdischen Orthodoxie. Alles andere erspare ich mir, aber im Volk ist das ein umstrittenes Thema. Die orthodoxe Führung will sich die Chance nicht entgehen lassen, denn die rechte Koalition verfügt über eine Mehrheit von 64 Sitzen. Diese darf nicht verspielt werden, aber aus ihrer Sicht sieht es so aus, als ob Justizminister Yariv Levin sie wegen seines Egos und seiner Rechtsform verspielt.

Die orthodoxe Führung des Landes hat erkannt, dass die Reform die israelische Gesellschaft zu sehr gespalten hat und will die Rechtsreform im israelischen Parlament nun nicht mehr unterstützen. Auch wenn dies den Rücktritt von Justizminister Yariv Levin zur Folge hat. Die orthodoxen Rabbiner und ihre Knessetabgeordneten haben ein sehr gutes politisches Gespür und sehen möglicherweise ein, dass sie beides verlieren werden, die Justizreform, aber auch die Regelung der Wehrpflicht für ihre orthodoxen Toraschüler. Deshalb haben sie sich für das Gesetz zur Wehrpflicht entschieden. Wenn die Regierung wegen der Justizreform stürzt, haben die orthodoxen Parteien nichts erreicht, daher haben sie sich entschieden, auf Nummer sicher zu gehen und die Wehrpflicht für ihre junge Generation gesetzlich zu regeln. Das hat ihnen Benjamin Netanjahu bei der Koalitionsbildung schriftlich versprochen.
Siehe auch: Berichte: Netanjahu und Levin wollen Justizreform stoppen
Die aschkenasischen Orthodoxen planen, gegen jedes der von Levin vorangetriebenen einseitigen Gesetze zur Justizreform zu stimmen. Damit wollen sie Druck auf Netanjahu ausüben, um einen breiteren Konsens zu erreichen. Die sefardische Schass-Partei in der Koalition hat sich hingegen für die Justizreform ausgesprochen. Der Vorsitzende der Schass-Partei, Arie Deri, bekräftigte, er sei Netanjahus Partner und wolle die Reformen durchsetzen.
Die orthodoxen Parteien bestehen auf einem neuen Gesetz, das Jeschiwa-Studenten vom Militärdienst befreit und gleichzeitig eine Klausel enthält, die das Gesetz von der gerichtlichen Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof ausnimmt. Dies ist eine Reaktion auf die Tatsache, dass der Oberste Gerichtshof die jüngste Version eines orthodoxen Gesetzentwurfs zum Wehrdienst mit der Begründung für nichtig erklärt hat, er verstoße gegen die Gleichberechtigung der Geschlechter. Der Gesetzesentwurf wurde mehr als ein Dutzend Mal verschoben. Die nächste Frist für ein neues Gesetz wurde auf Ende März 2024 festgesetzt. Sollte bis dahin kein neues Gesetz verabschiedet werden, kann die Armee alle 18-jährigen orthodoxen Jeschiwa-Schüler einziehen, so wie alle anderen Israelis auch.

Der neue Vorschlag sieht vor, das Alter für eine dauerhafte Befreiung von 26 auf 22 Jahre zu senken und im Gegenzug die Integration der orthodoxen Juden in diesen Jahren in den Nationaldienst und den Arbeitsmarkt innerhalb ihrer Gesellschaft zu fördern. Aber auch dieser Gesetzesentwurf wird kritisiert. Grundsätzlich muss man verstehen, dass in den Augen der Rabbiner der Militärdienst eine der beiden größten Gefahren für junge Toraschüler darstellt. Der Militärdienst und das Smartphone sind die beiden „Teufel“, die orthodoxe Juden vom Glauben oder vom rechten Weg abbringen. Die Rabbiner fürchten, die Kontrolle über die junge Generation zu verlieren, und sie haben Recht. Das Thema ist so wichtig im Land, dass sogar Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah das Problem der orthodoxen Wehrpflicht ansprach: “Israels Armee wird einen großen Schlag erleiden, wenn die Knesset das neue Wehrpflichtgesetz verabschiedet.

Es wird auch befürchtet, dass der Gesetzesentwurf in seiner jetzigen Form eine neue Runde von Protesten im ganzen Land auslösen könnte, auch unter den rechten Likud-Wählern der Koalition. Gleichzeitig argumentieren die orthodoxen Führer, dass das Toralernen ein wesentlicher Dienst für das Land sei, und wollen dies sogar im Grundgesetz verankern. Das würde sie vom Militärdienst befreien. Dies gilt allerdings nur für die jüdische Orthodoxie und nicht für die religiösen jüdischen Siedler. Diese betrachten die Wehrpflicht als Gebot. Auf Geheiß der orthodoxen Rabbiner und Toragelehrten haben die orthodoxen Parteien Israels Regierungschef Netanjahu in die Ecke gedrängt. Er muss sich nun zwischen der Wehrpflicht für orthodoxe Jeschiwa-Schüler oder der Justizreform entscheiden. In beiden Fällen kann seine Regierung zu Fall kommen, entweder weil er die Wehrpflicht für Rabbiner nicht regeln will oder weil er die Justizreform stoppt. Netanjahu hat versprochen, beides durchzusetzen, doch jetzt muss er sich entscheiden. Aber wie immer in der israelischen Politik ist alles möglich und am Ende wird man sich irgendwie auf einen Mittelweg einigen. Schließlich darf man seine 64 Sitze im israelischen Parlament nicht verspielen.
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2 Antworten zu “Tacheles mit Aviel – Wehrpflicht oder Justizreform?”
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Ja mal ehrlich, sollen Menschen gezwungen werden, gegen ihren Glauben zu handeln?
Am Ende würde der Einsatz solcher Menschen keinem helfen.
Ersatzdienst! Menschen die nicht in der Arme dienen wollen, könnten zum Ersatz dafür, in Altenheimen, Krankenhäusern und Kindergärten helfen. Auch könnten sie für die Arme kochen oder die Stuben reinigen. Dann müssten sie nicht an die Waffe und könnten trotzdem etwas für die Menschen tun und das auf Basis der Thora…… Lehrer, die durch “wilde/tobende” Kinder bei ihrem Unterricht gestört werden, könnten hier Hilfe auf göttliche Art bekommen.
Es könnte so einfach sein, wenn die Menschen alternative Möglichkeiten aufgezeigt bekommen, die sie bereichern und nicht demütigen.
Shalom
Mein Vorschlag ist, dass ein Israeli im wehrpflichtigen Alter die Wahl haben muss, entweder Militär- oder Ersatzdienst zu leisten, so etwa wie in Deutschland.