Tacheles mit Aviel – Jeder hat Angst vor dem Nächsten

Tacheles, offen und unverblümt sage ich meine Meinung. Wir führen nicht nur einen Religionskrieg mit unseren palästinensischen Feinden um das Gelobte Land, sondern auch einen Religionskrieg innerhalb des jüdischen Volkes.

von Aviel Schneider | | Themen: Judentum, Justizreform
Gafni
Auf den Straßen von Tel Aviv wird am Jom Kippur gebetet und spaziert. Foto von Omer Fichman/Flash 90

„In Israel wird ein heiliger Krieg gegen das Judentum geführt“, warnte gestern Abend am Schabbatausgang der Parteivorsitzende der ultraorthodoxen Vereinte Torahpartei Moshe Gafni. Damit meint er die Regierungsgegner, die seit Monaten einen Religionskrieg innerhalb des jüdischen Volkes führen. Der Beweis dafür ist laut Gafni der Zwischenfall zwischen religiösen und säkularen Juden während des öffentlichen Gebetes am Versöhnungstag Jom Kippur in Tel Aviv. „Wenn in Tel Aviv Kämpfe über das jüdische Gebet Kol Nidrei ausbrechen, bedeutet das, dass wir uns mitten in einem Krieg gegen die Religion befinden. Nicht die Justizreform oder Ähnliches ist das Thema. Sie führen einen Religionskrieg gegen uns,“ so Gafni.

Moshe Gafni fühlt sich verfolgt. Foto von Oren Ben Hakoon/Flash90
Moshe Gafni fühlt sich verfolgt. Foto von Oren Ben

Ich sage es mal so, wir alle haben ein wenig Angst vor dem Nächsten, der nicht so glaubt und denkt wie wir. Das ist der Zeitgeist im Land.

In diesem Fall muss ich Gafni recht geben, aus seiner Sicht befindet sich das jüdische Volk in einem gefährlichen Religionskrieg. Bisher haben nur orthodoxe Juden das offizielle Judentum bestimmt: was jüdisch ist, wer Jude ist, was Koscher ist, was erlaubt oder nicht erlaubt ist und alles andere Drumherum. Die große Mehrheit im Volk oder die stumme Mehrheit im Volk hat über Jahrzehnte alles mitgemacht, ab und zu in der Knesset und auf den Straßen gemurrt, aber nichts unternommen. Mit der umstrittenen Rechtsreformen ist nun alles ausgebrochen, auch vieles, was nicht zur Reform im Justizsystem gehört, und das ist das Schlimme.

Im israelischen Parlament, der Knesset, werden 18 orthodoxe Knessetabgeordnete gezählt, was 15 Prozent der 120 Knessetsitze ausmacht. Das ist ungefähr die Zahl der jüdischen Orthodoxie in der israelischen Bevölkerungszahl. Im Land werden zwischen eins bis zwei Millionen orthodoxe Juden gezählt, die ihr eigenes Leben, getrennt vom Volk Israel, leben wollen. In den letzten Monaten wird der jüdischen Orthodoxie, ihren Volksvertretern und den Rabbinern vorgeworfen, dass sie den Charakter des jüdischen Staates zu bestimmen versuchen, was einem Teil der Bevölkerung nicht passt. Und diesem Teil der Bevölkerung wird ein Religionskrieg gegen das orthodoxe Judentum vorgeworfen.

Siehe auch: Gebete sollten nicht mit Hass gebetet werden

Darüber hinaus hat Gafni die israelischen Unternehmer scharf angegriffen: „Ihr Krieg ist nicht sozioökonomisch oder sicherheitsbezogen, sondern ihr Krieg ist gegen die Religion“. Israelische Unternehmer, die gegen die Justizreform der Regierung sind, führen einen Religionskrieg gegen das Judentum, behauptete der orthodoxe Abgeordnete während einer politischen Versammlung im religiösen Kibbuz Hafetz Haim. „Nur so sollte man es nennen.“ Gafni beklagte die seiner Meinung nach falschen Warnungen von Israels Wirtschaftsexperten vor der Justizreform und erklärte, wie er sich seit Monaten mit führenden Wirtschaftsvertretern getroffen habe, die ihm sagten, wie ernst Israels Wirtschaftslage ist und was mit der Wirtschaft passieren könnte, wenn die Reform verabschiedet wird. „Seitdem ist übrigens viel Zeit vergangen und die Wirtschaft ist in bester Verfassung”, sagte Gafni.

In seiner Rede erzählte er: „Ich habe ihnen gesagt, dass es hier nicht um die Justizreform oder irgendetwas in diesem Zusammenhang geht, sondern dass ihr einen Religionskrieg gegen uns führt. Das ist der Grund, warum Mitglieder von Vereinte Torahpartei keine Interviews im israelischen Rundfunk mehr geben. Das hat uns niemals geholfen“.

Justizreform oder Religionskrieg? Foto von Tomer Neuberg/Flash90
Justizreform oder Religionskrieg? Foto von Tomer Neuberg/Flash90

Die Weltanschauung der jüdischen Orthodoxie ist mit nichts zu überrücken, denn ein orthodoxer Jude hat keine Freiheit Kompromisse in seinem Gesetzsystem im Glauben zu machen. Dies kam im Mai erneut zum Ausdruck, als Moshe Gafni gegen das, was er als „säkulare Hetzkampagne gegen die jüdische Orthodoxie“ bezeichnete, nachdem das Model und die TV-Moderatorin Galit Gutman vor der Kamera die orthodoxen Juden als Blutsauger bezeichnet hatte. Dies, weil Milliarden Schekel im Jahresetat im Rahmen der Koalitionsvereinbarungen an die orthodoxen Juden gehen.  „Blutsauger nennt sie uns. Schande über sie. Ich weiß nicht einmal, wer sie ist“, sagte Gafni und fügte nebenbei eine Anspielung auf Noa Kirel hinzu. „Meine Tochter ist nicht mit Musik von Noa Kirel aufgewachsen, hat sie nicht auch ein Budget verdient? Außerdem würde ich ihr ein paar Kleider schenken.“

Zwei Monate vorher haben führende evangelikale Christen Israels Premierminister Benjamin Netanjahu aufgefordert, den von ultraorthodoxen Gesetzgebern seiner Koalition vorgeschlagenen Gesetzesentwurf zu blockieren, der die Missionierung mit Haftstrafen belegen würde. Der Gesetzentwurf wurde von Moshe Gafni und Asher Yaakov der Vereinten Torahpartei vorgeschlagen und sollte Menschen eines Glaubens verbieten, mit Menschen anderen Glaubens zu sprechen oder zu versuchen, sie zum anderen Glauben (Christentum) zu bewegen und zu wechseln. Insbesondere der Versuch, Minderjährige zu bekehren, würde mit höheren Gefängnisstrafen geahndet.

Man muss grundsätzlich verstehen, dass die jüdische Orthodoxie ein Problem mit der jüdischen Säkularität hat, aber das gilt auch umgekehrt. Zwar hat nicht jeder orthodoxe Jude und nicht jeder säkularer Jude mit seinem Nächsten, der anders glaubt, ein Problem. Aber ja, egal wie man es nennen will, Religionskrieg, Krieg um den Charakter des jüdischen Staates, Krieg um die Demokratie oder Krieg um alles, Israel befindet sich in einem geistlichen Kampf in der Politik. Und der Auslöser ist einmal mehr die umstrittene Rechtsreform im Land, die alles Geister in allen Bevölkerungsschichten freigelassen hat. Orthodoxe Juden haben Angst vor noch mehr Machtübernahme der jüdischen Säkularität im Land und die säkularen Juden haben Angst vor einer orthodoxen Machtübernahme. Und diese Angst macht alle Seiten im Land verrückt und wahnsinnig.

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8 Antworten zu “Tacheles mit Aviel – Jeder hat Angst vor dem Nächsten”

  1. spenglersilvia sagt:

    Hier hilft für Juden und auch für die Nationen:
    Sich ausliefern im Gebet und um SEINEN GEIST bitten.
    Ansonsten nimmte der Krieg kein Ende – nicht der physische und nicht der geistliche -bei euch und auch bei uns.

    Schalom brauchen wir alle!

  2. Hans-Jürgen Rieth sagt:

    ‘…alle Seiten verrückt und wahnsinnig’, so der Autor. Sollte ich ihn auch nur ansatzweise verstanden haben, liegt die Ursache dieses Zustandes im Umgang mit der jüdischen Religion, positiv oder negativ (ultraorthodox oder säkular).
    Wenn man eine Ursache kennt, sollte man sie beseitigen, allerdings nicht ohne Alternatative.
    Wie wäre es, wenn z.B. die messianischen Christen in Israel sich einmal näher mit Luk. 16, 16 beschäftigen würden? Jesus CHRISTUS:
    ‘Bis zu den Tagen des Johannes d.T. galt das Gesetz und die Propheten’; von nun wird das Evangelium vom Reich Gottes gepredigt’. Das Predigen reicht natürlich aus, sondern, so Jesus CHRISTUS: ‘Wer meine Worte hört und sie tut…!
    Damit kein Irrtum aufkommt: Die Christen aller Couleur mißachten diese Bibelstelle seit 2000 Jahren, das Ergebnis: Die Kirche ist tot!

  3. spenglersilvia sagt:

    Nein, Herr Rieth, das ist der seit 2000 Jahren vorhandene Hochmut der Christenheit, die sich an die Stelle der Juden setzen will und daurch auch Leid über die Juden gebracht hat. Messianische Juden haben durch den Heiligen Geist ihren Messias Jeshua erkennen könnnen. Ich freue mich über jeden von ihnen, denn damit lerne ich die Wurzel des Baumes kennen, in den ich als Fremde “eingepfropft” bin, wie Paulus im Römerbrief schreibt. Dankbar sollte die Christenheit sein und demütig. Wenn ich die Geschichte betrachte, so sind womöglich wir schuldig, dass Juden keine Lust auf das Evangelium haben.
    Was haben wir ihnen icht alles angetan. Gerade uns Deutschen stünde Buße
    besser zu Gesicht, um Versöhnung zu erreichen.

  4. spenglersilvia sagt:

    Außerdem ist Kirche nicht tot – kommt darauf an, was man unter Kirche versteht.
    Nicht die Steinhäuser mit Türmen, nicht die sich mit Ehren überhäufenden
    Geistlichen – aber Hirten, die die Gemeinden recht lehren, dass sie wiedergeboren
    werden und zur weltweiten Gemeinde und den Messianischen Juden hinzugefüügt werden. Noch nicht in Vollkommenhet sichtbar, aber – Jesus/Jeshua kommt wieder, und dann werden wir sehen , dass das Volk der Juden zuerst SEIN Volk ist
    und wir als gleichgestellte Geschwister dabei sind. Ich möchte zu ihnen gehören.

  5. spenglersilvia sagt:

    PS: Solange wir auf Erden leben, sind wir nicht fehlerfrei, Ob Messianische oder Christen (ich sage lieber Jesu Nachfolger). Wir wissen aber, dass wir uns immer neu vergeben lassen können – das ist unsere Chance und Freude.

  6. spenglersilvia sagt:

    Roland Kunz,
    ich danke Ihnen für Ihre Zustimmung, bedeutet mir viel. Meist bekommt man auf biblisch begründete Glaubenseinstellungen eher Schelte.
    Herzlich Schalom.

  7. Hans-Jürgen Rieth sagt:

    Ich glaube nicht, dass Sie verstanden haben, was ich angedeutet habe. Die Alternative für Juden ist keineswegs das Christentum, so wie es seit 17oo Jahren verordnet wurde. Gott bewahre die Juden vor diesem Christentum!
    Die Alternative in Luk. 16, 16 lautet: Das Evangelium vom Reich Gottes. Dieses Evangelium wird im NT erwähnt, aber es steht nicht drin!
    Sie kennen es auch nicht, deshalb können Sie es nicht beurteilen.
    Ich weiß wovon ich rede, denn ich besitze es!

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