
Dem ging fast ein ganzes Jahrhundert voraus, das von starker christlicher Hilfe bei der Rückkehr des jüdischen Volkes ins Heilige Land geprägt war. Inzwischen ist eine jüngere Generation Evangelikaler herangewachsen. Die sogenannten „Millenials“ übernehmen immer mehr Führungspositionen in den Gemeinden, und mit ihnen geraten immer mehr die traditionellen und konservativen Glaubenslehren – wie die Ansicht, dass das moderne Israel eine Erfüllung biblischer Prophetie darstellt – aus der Mode oder werden gar völlig aufgegeben.
Die christliche Autorin Dale Hanson Bourke bietet eine Erklärung, speziell für die Haltung gegenüber Israel. 2014 veröffentlichte sie „Wie Millenial-Evangelikale den israelisch-palästinensischen Konflikt sehen“ Darin erklärt sie: „Jüngere Evangelikale sind in „sucherfreundlichen Gemeinden“ aufgewachsen, wo es in den Predigten um Beziehungen und praktische Glaubensdinge geht, wo Jugendgruppen sich nicht an Lehre, sondern an Dienst und Spaß orientieren. Das führt dazu, dass jüngere Evangelikale ihren ‚Glauben leben‘ wollen und weniger an Theologie, Prophetie oder biblischer Exegese interessiert sowie darin unterwiesen worden sind.“
Viele Christen unterstützen Israel nach wie vor, aber das Thema ist heute viel parteiischer als in den vergangenen Jahrzehnten. Bild: Yonatan Sindel/Flash90
Betrachtet man die hohe Zahl der Millenial-Evangelikalen, die sich in Gruppen für „soziale Gerechtigkeit“ engagieren, ergibt dies durchaus Sinn. Unter den beliebtesten der letzten Jahre ist die pro-palästinensische Israel-Boykott-Bewegung. Ihr gelang, das Bild Israels von dem eines unvollkommenen Außenseiters in das eines militärischen Unterdrückers umzuzeichnen, was widerum die Unterstützung innerhalb dieser Generation von Christen für den jüdischen Staat einbrechen ließ.

Pastor Wayne Hilsden
Pastor Wayne Hilsden, Mitbegründer der King of Kings Gemeinde in Jerusalem und Vorsitzender der Fellowship of Israel Related Ministries (FIRM), schließt sich der Meinung an, dass die Infiltration der westlichen Kirche mit liberalen (manche sagen „humanistischen“) Ideologien durch mangelndes biblisches Wissen möglich wurde. Hilten verwies uns auf einen Artikel, in dem er schreibt: „Ein Grund, warum so viele junge Leute so wenig über Israel wissen, ist, dass sie kaum ihre Bibel lesen.“
Und dem gehen oft viele Pastoren mit schlechtem Beispiel voran.
„Der Trend unter den Pastoren geht in den letzten Jahren dahin, dass von Vers-für-Vers-Erklärungen in der Predigt immer mehr Abstand genommen wird. Stattdessen gibt es lockeren Talk im Selbsthilfe-Stil mit einigen unterstützenden Bibelversen. Um Israel, ein zentrales Thema in Bezug auf den ganzen Ratschluss Gottes, wird möglichst ein Bogen gemacht“, so Hilsden.
Der britische Pastor und Autor Paul Wilkinson hat uns ein Exemplar seines Buches Christian Palestinianism: Charting the Rise of Evangelical Anti-Zionism (Christliches Palästinensertum: Eine Darstellung des Aufstiegs des Evangelikalen Antizionismus) zukommen lassen. Darin betont er: „Eine der auffälligsten Charakteristika des christlichen Palästinensertums ist die niedrige Meinung über die Autorität der Schrift.“
Als Beispiel führt Wilkinson eine Veröffentlichung des Bibellehrers Michael Prior an, der „skandalöse biblische Texte“ unter Beschuss nahm, die von christlichen Zionisten verwendet worden waren, um ihre Unterstützung gegenüber Israel zu rechtfertigen.

Missachtung des Wortes Gottes resultiert laut Hilsden in „biblischem Analphabetismus“, der nicht nur antisemitischen Einstellungen gegenüber anfällig mache. „Statt den Segen zu fassen, der denjenigen versprochen ist, die Israel zur Seite stehen, könnten sie letztendlich für ihre negative Einstellung gegenüber Gottes erwähltem Volk verflucht werden“, warnte er mit Blick auf 1. Mose 12,3. Tatsächlich scheinen in evangelikalen Gemeinden alle Arten von Skandalen mittlerweile eher die Norm statt die Ausnahme zu sein.
Auch Claude Ezagouri, Pastor der Morning Star Gemeinde in Tiberias, denkt, es sei kein Zufall, dass Gemeinden mit Skandalen und Mitgliederschwund geplagt sind, während sie sich immer weiter von Israel entfernen. Parallel zur wachsenden Feindseligkeit gegenüber Israel können wir „einen Rückgang christlicher biblischer Werte unter Christen ausmachen, selbst unter wiedergeborenen Gläubigen“, sagte Ezagouri zu Israel Heute. Doch statt, wie von Bourke und Hilsden umrissen, sich dem Kern des Problems zuzuwenden, versuchten Gemeinden, „jüngere Generationen mit ‘spannenden Erfahrungen’ zu gewinnen“, klagte der israelische Pastor. „Wir brauchen einen Weckruf, der sich auf Schrift und Erfahrung stützt, der davon ausgeht, dass das Thema Israel in Gottes Plan existiert und Segen bringt, selbst wenn es nicht mit der allgemeinen Auffassung konform geht.“
„Grundsätzlich sehe ich das Gleiche“, erklärte der Direktor der Internationalen Christlichen Botschaft in Jerusalem, Dr. Jürgen Bühler, gegenüber Israel Heute. „Die Liberalisierung der christlichen Welt im Westen führt zu vermehrter Kritik gegen Israel. Aber auf der anderen Seite bin ich nicht so pessimistisch, denn weltweit gesehen beobachte ich, wie sich immer mehr Christen Israel zuwenden.“ Bühler spricht von einer Erweckung für Israel in China, Lateinamerika und Afrika. „In den letzten Jahren beobachten wir bei unserem jährlichen Laubhüttenfest in Jerusalem einen großen Umschwung. Zwei Drittel unserer Konferenzteilnehmer kommen aus dem globalen Süden, also Lateinamerika, Asien und Afrika. Der Rest aus dem sogenannten christlichen Westen.“ Der Westen, wie die USA, ist laut Bühler entweder politisch für Israel oder gegen Israel.
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