Ein Land im Trauma

Auch anderthalb Monate nach dem “Schwarzen Schabbat”, wie wir den 7. Oktober nennen, befindet sich das Land in einem Trauma.

von Dov Eilon | | Themen: Krieg in Israel, Hamas, Gazastreifen
Angehörige von Israelis, die von Hamas-Terroristen im Gazastreifen entführt wurden, besuchen die Familie von Noa Marciano in Modiin. Noa wurde während ihrer Gefangenschaft ermordet, 16. November 2023. Foto: Jonathan Shaul/Flash90

Seit mehr als sechs Wochen ist unser Leben nicht mehr so, wie es vor dem 7. Oktober gewesen war. Es ist so, als hätte man uns plötzlich in eine Parallelwelt katapultiert, eine Welt mit denselben Menschen, aber mit einer völlig anderen Realität. Es ist eine bittere und traurige Realität, mit der wir jetzt klarkommen müssen, in der mindestens 1200 Menschen von den Hamas-Terroristen auf die brutalste Art ermordet wurden. 238 Menschen wurden von diesen Bestien in den Gazastreifen verschleppt, darunter kleine Kinder, Babies und alte Menschen. Wir leben jetzt in einer Welt, in der wir jeden Tag von weiteren israelischen Soldaten hören, die im Kampf gegen die Hamas im Gazastreifen gefallen sind. Leider befinden wir uns nicht in einer parallelen Welt, sondern in unserer Welt. Es gibt kein Zurück, das hier ist unsere neue Realität.

Es fällt mir schwer, Euch unsere Gefühle und Eindrücke zu beschreiben. Ich versuche es trotzdem. Hoffentlich gelingt es mir, Euch wenigstens einen kleinen Teil unserer Empfindungen zu vermitteln, meiner Empfindungen, meiner Eindrücke und Gedanken, die mich seit dem 7. Oktober begleiten.

Ich werde diese Bilder nie vergessen. Die Zerstörung im Kibbuz Beeri. Foto: Erik Marmor/Flash90

Seit diesem Datum gibt es keinen Morgen, an dem ich nicht mit den Gedanken an die ermordeten Menschen aufwache und das schreibe ich nicht einfach so. Ich habe die grausamen Bilder des 7. Oktober ständig in meinem Kopf. Ich habe mir alle Videos dieser Gräueltaten angesehen, die ich finden konnte. Mir war es wichtig, die Wahrheit zu sehen, genau zu wissen, was an diesem schlimmen Tag passiert ist. Bis heute kann ich es nicht begreifen, wie es dazu kommen konnte. Und noch weniger kann ich begreifen, wie Menschen dazu fähig waren, diese Gräueltaten zu begehen. Die Bilder des Grauens und der Zerstörung begleiten mich pausenlos. Ich habe viel geweint in diesen letzten sechs Wochen. Und nicht nur ich, das ganze Land weint und ist in einem Trauma.

Im Fernsehen werden seit der Katastrophe und seit dem Kriegsbeginn nur noch darüber berichtet. Neben den Berichten über weitere gefallene israelische Soldaten gibt es immer wieder neue Heldengeschichten. Geschichten über Menschen, die es auf eine unglaubliche Weise geschafft haben, das Inferno zu überleben. Und Geschichten über Menschen, die ihr eigenes Leben riskierten, um so viele Menschen wie möglich zu retten. Einen kleinen Teil dieser Geschichten konntet Ihr hier auf unserer Seite lesen, aber es gibt noch so viele andere Geschichten. Viele dieser Geschichten sind herzzerreißend.

Gestern sah ich einen Bericht über Menachem Clemenzon, der zusammen mit seinem Bruder Alchanan mehr als 100 Menschen aus dem von den Terroristen zerstörten Kibbuz Beeri gerettet hatte. Sein Bruder wurde beim letzten Einsatz von einem Terroristen erschossen. Am Ende traf der Retter mit einem Teil der von ihm geretteten Menschen zusammen, ein sehr emotionelles Ereignis.

Menachem, einer von vielen Helden

Es gibt kaum jemanden in unserem Land, der nicht von den Ereignissen irgendwie betroffen ist.  Ein Nachbar unseres Sohnes in Tel Aviv ist bei der Nova-Musikparty von den Terroristen ermordet worden. Auch der kleine Bruder einer Kindheitsfreundin unserer Tochter ist von der Party nicht mehr zurückgekehrt. Davon hatte ich Euch bereits berichtet. Auch eine Arbeitskollegin unserer Tochter wurde auf dieser Party ermordet. Auch wenn unsere Tochter sie nicht weiter kannte, fiel es ihr schwer, das zu verarbeiten. Von dem Tod des Bruders ihrer Freundin ganz zu schweigen.

Vor ein paar Tagen bekam eine Kollegin von der Israel Heute Redaktion eine SMS von der Lehrerin ihres Sohnes, der in die zweite Klasse geht. Es ging um den Vater eines Schülers. Er war wie so viele in den Reservedienst der Armee gezogen worden und kämpfte im Gazastreifen gegen die Hamas-Terroristen. Er ist im Kampf gefallen.

Yakir Biton, Bild: IDF

Yakir Biton ist 34 Jahre alt geworden. Er ist mitten aus seinem Leben gerissen worden und hinterlässt Frau und drei Kinder, die jetzt ohne ihn auskommen müssen. Was für eine schreckliche Nachricht. Könnt Ihr Euch vorstellen, dass die Klassenlehrerin Eures Kindes so eine SMS veschickt?

Yakir Biton ist einer von insgesamt  390 Soldaten, sie seit dem Kriegsbeginn am 7. Oktober gefallen sind. Erst heute früh wurden die Namen von zwei weiteren gefallenen Soldaten veröffentlicht. Hinter jedem Gefallenen steht eine ganze Familie, für die eine ganze Welt zusammengebrochen ist. Meine Stadt Modiin hat bereits 17 Soldaten verloren. Für die Unbetroffenen ist es eine kurze Meldung, für die Angehörigen das Ende der ihnen bekannten Welt. Ich bewundere die Art und Weise, wie sie mit dem Verlust ihrer Liebsten umgehen und fertigwerden. Das Leben geht weiter, es muss weitergehen.

Heute früh erzählte mir mein jüngster Sohn, dass ein guter Freund von ihm jetzt im Gazastreifen ist. Er ist ein Kämpfer. Seine Familie macht sich jetzt sicher große Sorgen. Doch das ist leider die Realität von vielen Familien. Wir müssen stark bleiben. Ein anderer Freund kam für ein paar Tage nach Hause, er war an der nördlichen Grenze im Einsatz. Morgen muss auch er runter in den Süden. Ich kenne ihn seit dem Grundschulalter.

Israelische Reservesoldaten in der Nähe der Grenze zwischen Israel und dem Gazastreifen im Süden Israels am 13. November 2023. Foto: Yonatan Sindel/Flash90

Wir sind von der Hamas in diesen Krieg gezogen worden, das dürfen und werden wir nicht vergessen. Glaubt mir, niemand von uns möchte den Krieg. Aber wir alle verstehen, dass wir momentan keine andere Wahl haben. Kein Israeli ist bereit, in Nachbarschaft mit den Hamas-Monstern zu leben.

Während ich Euch diese Zeilen schreibe, ist der Fernseher ständig eingeschaltet. So ist das schon seit 6 Wochen. Ich könnte Euch noch viele Eindrücke beschreiben. Da gibt es den noch immer fast täglichen Raketenangriff auf das Zentrum des Landes, mit dem Bummern der Abwehrraketen, der Krach der Kampfflugzeuge auf ihrem Weg zu einem weiteren Einsatz gegen die Terroristen. Und ja, ich weiß, dass es bei diesen Angriffen auch zu zivilen Opfern in Gaza kommt. Leider gibt es keine Kriege ohne unschuldige Opfer. Jeder Tod eines unschuldigen Menschen ist tragisch. Aber wir haben diesen Krieg nicht begonnen. Den jetzt geforderten Waffenstillstand gab es bereits am 6. Oktober. Bis er von der Hamas gebrochen wurde.

Das war es erst einmal für heute. Über den UN-Generalsekretär António Guterres werde ich mich ein anderes Mal aufregen. Gestern wurde im UN-Hauptquartier in New York der 40-minütige Film der Gräueltaten der Hamas gezeigt, Guterres hielt es nicht für nötig, anwesend zu sein, trotz der Einladung des israelischen UN-Botschafters Gilad Erdan. Aber wie gesagt, darüber werde ich mich ein anderes Mal aufregen.

Ich hoffe, mir ist es gelungen, meine Eindrücke und Gedanken zu beschreiben. Gerne lese ich Eure Kommentare hier unter dem Artikel. Wie empfindet Ihr diese Zeit seit dem 7. Oktober? Wird darüber bei Euch gesprochen?

Bilder von Menschen, die von Hamas-Terroristen in Gaza als Geiseln genommen wurden, auf Stühlen im Pais-Arena-Stadion in Jerusalem am 15. November 2023. Foto: Oren Ben Hakoon/Flash90

Ich hoffe, dass wir die nach Gaza entführten 238 Menschen so schnell wie möglich in die Arme schließen können. Der Welt scheint das leider weniger zu interessieren. Wir vermissen unser normales und langweiliges Alltagsleben. Macht es gut! Shalom!

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4 Antworten zu “Ein Land im Trauma”

  1. Gabriele Amler sagt:

    Shalom,
    das mit der Parallelwelt kann ich gut nachempfinden, geht mir auch so.
    Ich bin so fassungslos, v.a. über die Ignoranz um mich herum. Leute die sich nach dem Angriff auf die Ukraine ein Bein ausgerissen haben und mich jetzt anschauen “Wieso?Was war am 07. Oktober?”. Das finde ich am schlimmsten.
    Christen nerven mich mit dem ganzen “andere Wange/Nächstenliebe/prinzipiell für Frieden beten” mishegoss – ich bin dankbar für die, die nicht so sind.
    Ich bin grundsätzlich angespannt, benutze mehr Schimpfworte.
    Ich trauere.Ich bin wütend. Ich diskutiere, konfrontiere, weine viel, bete noch mehr. Dazwischen ziehe ich mich zurück, um Kraft zu sammeln,
    Ich bin innerlich zerrissen, weil ich hier “nur” beten/spenden kann. Ich würde viel lieber auch vor Ort unterstützen. Ich würde mein Leben für Israel geben.
    Ich wünsche euch Entschlossenheit, Trost, Zusammenhalt,Kraft.
    Am Israel chai!

  2. Theodor Fritz sagt:

    Gabriele hat exakt beschrieben, wie wir uns fühlen angesichts dieser Kriegsnöte und Traumata, wie wir mit leiden, wie wir helfen und trösten wollen und uns doch hilflos fühlen. Wie wir erschüttert sind ob all der arroganten zum Himmel schreienden Lügen und der Ignoranz der Medien, über den appeasement- Reden der Politiker.
    Danke, lieber Dov, Du hast uns ins Herz Deines Volkes blicken lassen, so hast Du noch nie geschrieben.
    Was uns bleibt, ist der Schrei zu Gott – zu wem denn sonst!

  3. Havershalom sagt:

    Teil 1
    Shalom lieber Dov,
    und das schlimme ist, es wird immer noch viel Steuergeld aus der Bundesrepublik Deutschland für “Humanistische Zwecke” an die Hamas überwiesen.
    Damit der Hamas ja nicht das Geld für den fortgesetzten Judenmord ausgeht !!!
    Ich muss aufpassen das ich nicht hässlich über spezielle Gruppen von Leuten denke und rede.
    Auch Bärbock und Co scheinen unaufhörlich für Nachschub an “Fachkräften” zu sorgen. An vielen Orten werden wieder Container für Fachkräfte aufgestellt, die Orte und Gemeinden wissen nicht mehr wie sie das bewältigen können. Die Straftaten nehmen noch mehr zu.
    Von den Behörden werden, nach gesicherten Informationen, Wohnungen, Häuser und Hotels “für “Fachkräfte” konfisziert. Deutsche Staatsbürger werden aus Ihren Wohnungen rausgetrieben und müssen sehen wo sie unterkommen.

    • Havershalom sagt:

      Tei 2
      Und dann immer wieder diese unverschämten Angriffe, Lügen, Verleumdungen und Hässlichkeiten gegen Israel und das jüdische Volk. Auch teilweise von Seiten der sogenannten Christen und Kirchen.
      Danke Dov für Deine Gefühle, deine Art wie Du und die anderen bei IH euch ausdrückt, auch auf Telegram.
      Ich weiss keinen anderen Weg als es Adonai zu sagen, IHN om Hilfe und Gnade für sein Volk zu bitten, mir fehlen oft die Worte dazu, dann spiel ich mit schwerem Herzen ein Lied und singe dazu, das stabilisiert mich etwas.

      Ich denke dann oft an den Film, “Gegen jede Wahrscheinlichkeit” von Michael Greenspan, der vom Eingreifen G-TTES bei den Bedrohungen gegen Israel erzählt.
      Meine Frau und ich, wir werden weiter beten und Adonai um seine Hilfe und Gnade für sein Volk bitten.
      Trotz all dem Bösen:
      Baruch ha Shem – gepriesen sei der HERR
      Shalom Havershalom

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