Koalition und Opposition müssen beide verlieren, um das Volk zu retten

Reformen, Widerstand und die Suche nach einem Kompromiss im Angesicht von Tischa Be’Av – Ein Volk ringt um seine demokratische Zukunft.

von Aviel Schneider | | Themen: Justizreform
Gegner der Justizreform protestieren am 18. Juli 2023 am Bahnhof Hashalom in Tel Aviv gegen die von der Regierung geplante Justizreform. Foto: Miriam Alster/Flash90

Nächste Woche gedenkt das Volk Israel am Tischa Be´Aw, dem neunten Tag des jüdischen Monats Aw, der Zerstörung des jüdischen Tempels in Jerusalem. Damit werden die drei Trauerwochen abgeschlossen, in denen wir uns zurzeit befinden. Wenn wir uns nicht zusammenreißen, werden wir auch unser drittes Haus Israel zerstören. Momentan sieht es so aus, dass keine Seite gewinnen wird. Der Koalition wird es gelingen, eine gewisse Reform umzusetzen und die Opposition wird dafür sorgen, dass eine Gewaltenteilung bleibt, sowie es sich im demokratischen System angehört.

Tischa Be´Aw erinnert an die tragischen Folgen des Bruderkrieges im Volk Israel. Nächste Woche plant die Regierungskoalition einen ersten Teil der Justizreform zu verabschieden. Sollte der Gesetzesentwurf der Angemessenheit in seiner jetzigen Fassung umgesetzt werden, werden massive Proteste ausbrechen. Fundamentale Vereinbarungen der israelischen Gesellschaft werden fallen. Das Schicksalsbündnis, das uns verbindet, wird gebrochen und nicht mehr zu heilen sein.

So spaltet sich Israels Elitekommando Sayeret Matkal in zwei Lager. Etwa 400 Reservisten der Elite haben mit zitternden Händen eine Petition unterschrieben, dass sie ihren Dienst aufgeben würden, sollte das Gesetz verabschiedet werden. In derselben Einheit organisierte sich eine andere Gruppe, die ihren Dienst weiterführen wird. Was in dieser Elitetruppe vorgeht, dem Gewächshaus des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu und seinem schärfsten Gegner Ehud Barak ist ein Beispiel für den Prozess, den Israels Gesellschaft durchmacht. Piloten, Ärzte, Wirtschaftsführer, die Pioniere und Verteidiger des Landes, drohen mit einer Explosion, wenn die Gesetzesentwürfe verabschiedet werden. Das geliebte Israel wird auseinandergerissen. Bibi und Ehud waren früher einmal die besten Freunde.

IDF-Reservisten der Organisation “Waffenbrüder” blockieren den Eingang zum Hakirya-Stützpunkt in Tel Aviv, um gegen die Justizreform der Regierung zu protestieren, 18. Juli 2023. Foto: Chaim Goldberg/Flash90

„Vor etwa vier Monaten hat eine Gruppe von Professoren, die unter der Schirmherrschaft des Staatspräsidenten zusammenkam, einen gemeinsamen Entwurf für alle Bereiche der Rechtsreform vorgelegt, mit der Idee, dass das Rechtssystem korrigiert, aber nicht zerschlagen werden sollte. Die Gewaltenteilung zwischen Legislative, Exekutive und Judikative muss ausgewogen bleiben, ohne den demokratischen Grundlagen Israels zu schaden“, erklärte Prof. Yedidia Stern, Vizepräsident für Forschung am Israel Democracy Institute, wo er die Projekte „Religion und Staat“ und „Menschenrechte und Judentum“ leitet. Er ist Professor an der juristischen Fakultät der Bar-Ilan-Universität und war deren Dekan. „In den Gesprächen waren wir uns über die meisten Details des Vorschlags einig, aber dann brach alles zusammen, und seitdem ist die Situation eskaliert. Auf den Straßen herrscht Chaos, böses Blut nährt einen extremen Dialog und fast jeder ist gegen seinen Bruder. Eine Einigung ist dringend notwendig, um uns vor dem Abgrund zu retten“. .

Die Reformgegner müssen akzeptieren, dass 64 Abgeordnete der Knesset vor weniger als einem Jahr vom Volk gewählt wurden und die Rechtsreform unterstützen. Andererseits müssen die Initiatoren der Reform die Umfragen berücksichtigen, die zeigen, dass die Mehrheit die Rechtsreform in ihrer jetzigen Form nicht unterstützt. Die zum Teil zutreffende Behauptung von Unrecht in der Vergangenheit darf nicht zu neuem Unrecht in der Gegenwart führen. Andererseits darf die Regierung auch nicht auf alle ihre Gesetzesvorhaben verzichten, nur weil Reservisten und Protestler ein Veto einlegen. Gleichzeitig muss die Regierung ihre Reformen einschränken, um eine intakte demokratische Struktur zu erhalten.

Dieser Vorschlag stellt laut Prof. Yedidia Stern eine wesentliche Änderung der bestehenden Situation dar, weil sie die Entscheidungen der Regierung im Plenum gegen Kritik an ihrer Angemessenheit immunisiert, wie auch für Entscheidungen der Regierung über Nominierungen, für die eine Zustimmung der Knesset nötig ist. Darin liegt eine klare Regelungslogik: Grundsätzlich bleibt die Judikative weiterhin befugt, die Angemessenheit der Ermessensausübung durch die Inhaber exekutiver Gewalt in Israel zu prüfen.

Wenn jedoch der Ermessensspielraum durch das gewählte Organ an der Spitze der Exekutive, der Regierung, ausgeübt wird, oder wenn es sich um eine Nominierung handelt, die die Zustimmung der Legislative, der Knesset, erfordert, wird die Judikative die Angemessenheit nicht überprüfen. Auf diese Weise wird das Gesetz das richtige Verhältnis zwischen den drei Gewalten zum Ausdruck bringen. Natürlich kann die Judikative in jedem Fall weiterhin die Entscheidungen der Regierung anhand der anderen bekannten Ermessensgründe überprüfen, von denen es bekanntlich viele gibt.

Streit in der Knesset während der Abstimmung des Gesetzesentwurfes zur Angemessenheit in erster Lesung. Foto: Yonatan Sindel/Flash90

Die Opposition wird es nun schwer haben, diesen Vorschlag zu akzeptieren, aus Angst, einen Präzedenzfall zu schaffen, nach dem die Koalition versuchen wird, den Reformprozess einseitig fortzusetzen. Die Koalition und insbesondere der Premierminister müssen ihre Absichten klarstellen und sich unmissverständlich dazu verpflichten, dass sie in dieser Legislaturperiode keine weiteren Rechtsreformen zulassen werden, ohne dass eine umfassendere Einigung über die derzeitigen Grenzen der Koalition (64), d.h. eine parlamentarische Mehrheit von etwa 70 Knessetabgeordneten, erzielt wird.

Dem Vorschlag zufolge wird keine Partei ihren Gegner besiegen. Der Koalition wird es mehr oder weniger gelingen, eine gewisse Veränderung der Gewaltenteilung zwischen den Behörden herbeizuführen, und der Opposition wird es gelingen, die vom demokratischen System geforderte Trennung zwischen den Behörden aufrechtzuerhalten. Alle Parteien müssen sich darüber im Klaren sein, auch wenn sie von ihrer Richtigkeit überzeugt sind, dass ein einseitiger Sieg nur von kurzer Dauer sein und sich als Pyrrhussieg erweisen wird. Keiner darf gewinnen, es muss ein Unentschieden geben, um im wahrsten Sinne des Wortes Chaos und die Zerstörung Israels zu vermeiden. Ein zu teuer erkaufter Erfolg ist am Ende für beide Seiten ein Verlust. Im ursprünglichen Sinne geht der Sieger genauso geschwächt aus dem Konflikt hervor wie der Besiegte und kann den Sieg nicht für sich nutzen.

Nach zwei Tempelzerstörungen und zweitausend Jahren Exil kehrten wir in unsere Heimat zurück und gründeten einen unabhängigen und lebendigen jüdischen und demokratischen Staat. Auf den Altar seiner Gründung fielen Söhne und Töchter aus Familien auf allen Seiten der aktuellen Debatte. Schon um Ihretwillen dürfen wir nicht das Risiko einer dritten Zerstörung eingehen.

Prof. Stern: “Wenn beide Parteien, Koalition und Opposition, die Gefahr für Israel erkennen und sich auf diesen Kompromissvorschlag einigen, wenn auch nicht glücklich, aber mit dem Verständnis, dass es keine andere bessere Wahl gibt, dann können wir am nächsten Tischa Be’Aw sagen, dass wir aus der Geschichte gelernt haben und die Fehler unserer Vorfahren nicht wiederholen”.

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6 Antworten zu “Koalition und Opposition müssen beide verlieren, um das Volk zu retten”

  1. Andrew Manner sagt:

    Ich glaube nicht an einen tragfähigen Kompromiss, sondern daß -wie schon so oft- die Regierungskoalition auseinanderbricht…
    Ich bete für Euch und für Israel für eine friedvolle Lösung und Einigung!

    God Save Israel!

  2. spenglersilvia sagt:

    Im Bezug auf Israel glaube ich nicht nur, sondern weiß, dass es Gottes Volk ist, und dass ER immer wartet, dass nur IHM allein vertraut wird. Ich schreibe zaghaft und weiß sonst nichts als was ich in der jüdischen Geschichte (Mose und Propheten) lese, die auch ich jetzt brauche, um im Durcheinander der Welt nicht
    verkehrt zu denken. Demokratie? Ich weiß nicht, wo die ist – gab es sie überhaupt? Nur auf Papier und in Medien. Israel ging es nur gut unter Königen, die Gottes Willen befolgten. Mit dem Allmächtigen kamen und kommen die Juden ins Land, errangen wunderbare Siege trotz geringer Kraft. Kamen unverhofft sogar in Jerusalem an. “Lobe den Herrn, meine Seele und vergiss nicht, was ER dir GUTES getan hat!” Und dann mach weiter mit der Kraft, die Du hast und SEINER. Shalom!

  3. Serubabel Zadok sagt:

    Die Justizreform muss dringend umgesetzt werden. Israel muss wieder eine Demokratie werden. Es ist höchste Zeit, die viel zu lange währende Justizdiktatur zu beenden. Diese Diktaturliebhaber darf man nicht so ernst nehmen und von Soldaten darf sich die Regierung schon erst Recht nicht erpressen lassen. Sonst wird die Diktatur nur noch heftiger. Die Mehrheit der jüdischen Bevölkerung hat eine Befreiung von der Justizdiktatur verdient. Die Justiz darf ruhig mehr in den Hintergrund treten.

  4. Tim Laier sagt:

    So dramatisch das alles klingt und sicherlich für viele auch ist.
    Denken Sie der Staat Israel kann überhaupt untergehen?
    Die Demokratie, die staatlichen Gesetze, das jüdische Bewusstsein usw. mögen vielleicht vergehen. Aber die Sammlung Israels… Ez 37
    Kann Israel aus Eretz Israel vertrieben werden, während Gott es sammelt?
    Gerade mit Blick auf LGTBQ, Abtreibungen usw. würde es mich wohl nicht verwundern.
    Aber Gericht / Züchtigung während der Sammlung?

  5. hdfuerst sagt:

    Israel hat eine demokratisch gewählte Regierung. Die Rechtsreform ist absolut notwendig.
    Richter dürfen nicht Entscheidungen treffen, die Gottes Gesetzen widersprechen. Sie dürfen nicht nach eigenen Gutdünken urteilen; auch nicht nach Grundsätzen, die sie sich von anderen Nationen ausleihen. Die Gegner der Rechtsreform sprechen immer von Demokratie, aber sie sind im Irrtum. Sie wollen nach Grundsätzen leben, die nicht mit der Tora übereinstimmen. Der Gott Israels wird das nicht zulassen; er wird seinen Willen in seinem Land durchsetzen. Er wird dafür sorgen, dass dieser Widerstand der Minderheit des Volkes in Israel aufhört.

  6. jotfried sagt:

    So zu tun, als wäre ISRAEL das einzige Volk Gottes, verkennt wesentliche vor-jüdische und außer-jüdische Ereignisse.

    Politische + wirtschaftliche Prozesse werden durch Worte ausgelöst, perfekt nach dem Anfang vom Johannes-Evangelium

    AM ANFANG WAR DAS WORT . . . !

    D a s macht auf mich “einen vernünftigen Eindruck”.

    Grundsätzlich ist die Welt zu bessern,
    indem wir r i c h t i g sie bewässern.

    Viel billiger als Bomben ist Regen-Segen.

    Im SchmaIsrael — also im jüdischen Uralt-Gebet — kommt 2 x das Wort Regen vor.
    Die Umsetzung ist Sache des kollektiven Bewusstseins, indem aus dem Nichts – aus dem materiellen NICHTS – von gesprochenen Wörtern konkret etwas Materielles wird. Vorgeführt beim Turmbau zu Babel ebenso wie beim “Klimawandel zum Besseren”. Umsetzung ist nicht Sache ISRAELS allein.

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