
Guten Morgen, liebe Leser!

Ich war überrascht und konnte kaum glauben, was ich da sah. Wir waren unterwegs zum See Genezareth und legten gerade eine Kaffeepause ein, und zwar in einem kleinen Kloster nördlich des Toten Meeres. Neben dem Speiseraum befand sich eine Art Gebein-Kammer mit Totenköpfen unter dem Altar. Wo war ich hier gelandet?
Wir, das waren mein Freund Avshalom Kapach und ich, wollten unterwegs in der judäischen Wüste das Kloster Deir Haijla besuchen, das sich nicht weit von der Taufstelle Jesu am Jordanfluss befindet, bis vor wenigen Jahren noch Sperrgebiet der israelischen Armee.

Avshalom kennen Sie vielleicht, er schreibt auch für unserer Zeitung. Er kennt das Land wie seine Westentasche. Im Kloster hat mein jemenitischer Freund Avshalom einen Freund – einen Mönch. Avshalom ist dort öfters, denn als Historiker führt er nebenbei auch israelische Gruppen zu auserwählten Orten im Land, um dort die Menschen näher kennenzulernen.
Deir Haijla, übersetzt „Sandhuhn Kloster“, ist ein aktiv genutztes griechisch-orthodoxes Kloster, das dem heiligen Gerasimos geweiht ist, der in der byzantinischen Zeit ein Zentrum für zurückgezogene Mönche in der Wüste gegründet hat. Das Kloster wurde im fünften Jahrhundert erbaut und seitdem mehrmals zerstört und wieder aufgebaut. Die heute bestehende Konstruktion ist typisch für die Kreuzfahrerzeit, aber viele Teile davon sind eine Rekonstruktion der ursprünglichen Struktur. Eine Lavra oder Laura ist ein Klostertyp, der aus einer Gruppe von Zellen oder Höhlen für Einsiedler besteht, mit einer Kirche und manchmal einem Refektorium im Zentrum. Ab dem fünften Jahrhundert konnte sich der griechische Begriff Laura speziell auf die halb-eremitischen Klostersiedlungen in der judäischen Wüste beziehen, wo Lauras sehr zahlreich waren.
Der Mönch, dessen Name ich vergessen haben, sprach kein Hebräisch, nur griechisch. Daher war unser Dialog relativ stumm und verlief hauptsächlich per Zeichensprache ab, die keiner von uns verstehen konnte. Aber eines haben wir verstanden, dass der Mönch schwitzte und es heiß war.
Es ist brütend heiß da unten, östlich von Jericho. Das kleine bunte Kloster ist wie eine frische Oase in der Einöde. So zogen wir uns in die versteckten Kammern im Kloster zurück, wo es wirklich sehr kühl und angenehm war. Die dicken Steinwände waren die beste Isolierung und langsam gewöhnte ich mich auch an die zahlreichen Totenköpfe direkt neben uns.

Jeder Totenkopf hat einen Namen. Jeder gehörte einmal einem Mönch, der Gott in dieser Einöde am Jordanfluss diente. Unser griechischer Mönch erzählte über jeden Totenkopf eine kurze Geschichte, die keiner von uns recht verstehen konnte. Normalerweise ist im Kloster jemand, der Englisch und Hebräisch spricht, aber dieser Mann war gerade kurz nach Jericho gefahren. Der Mönch streichelte also die Gebeine und zeigte seine Gefühle für seine ehemaligen Kollegen vor Generationen, die er nicht persönlich kannte, aber von denen er gehört hatte. Ich fühlte mich wie im Thriller Sakrileg von Dan Brown.
Nach knapp einer Stunde saßen wir wieder in unserem durch Klimaanlage gekühlten Auto und fuhren weiter durch die Jordansenke Richtung Norden.
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