
Man könnte meinen, dass man als pro-israelisch eingestellter Mensch die Niederlage Trumps im gewissen Sinne auch Israels Niederlage verstehen kann. Heute jedoch wird eine Pro-Israel-Einstellung von den Israelis anders verstanden. Die Rechte denkt immer noch, dass ein pro-israelischer Präsident traditionelle zionistische Überzeugungen zu unterstützen hat, das heißt, Israel sei jüdisch zu halten.
Für die Rechte bedeutet ein pro-israelischer Präsident, er habe Israel in seinem Bestreben zu unterstützen, große Teile der sogenannten Westbank unter die Souveränität Israels zu bringen. Für die Rechte bedeutet pro-israelisch ein Präsident, der traditionelle Werte usw. unterstützt.
Die Linke hingegen sieht einen pro-israelischen Präsidenten anders. Wer auch immer er sein mag, er sollte jemand wie Obama sein. Also als jemand, der sich bemüht hat, die Gesellschaft so zu verändern, dass sie die Art einer erwünschten neuen Welt widerspiegelt, in der alle Formen von Intoleranz der Vergangenheit angehören. Da Intoleranz auch die Vorstellung von einem jüdischen Staat umfasst, sollte der israelfreundliche Präsident Israel dazu drängen, eine Demokratie zu werden, die die fortschrittlichen Werte widerspiegelt, zu denen unter anderem die Umwandlung Israels in einen demokratischen statt in einen jüdisch-demokratischen Staat gehört. Zudem sollte er Israel dazu drängen, einen palästinensischen Staat zu schaffen.

Mit der Schlagzeile “Präsident Biden” übernimmt die israelische Tageszeitung Jediot Ahronot auf dem Cover ihrer Sonntagsausgabe brav die Vorgabe der amerikanischen Medien.
Wenn man bedenkt, wie Intoleranz heute verstanden wird, sind Trump und seine Anhänger große Fanatiker, weil sie immer noch versuchen, das Patriarchat, den Nationalstaat, den Begriff der Staatsbürgerschaft zu schützen, Dinge, die Republikaner ja per Definition schon illegitim machen. Aus diesem Grund haben die Demokraten Trump nicht eine Sekunde lang den Vertrauensvorschuss gegeben. Das, wofür er stand, reichte aus, um zu sagen: “Er ist nicht mein Präsident”.
Israelis behandeln Trump auf die gleiche Weise. Die Linke verabscheut ihn für die Werte, für die er steht. Die Rechten lieben ihn aus eben diesen Gründen. Deshalb hätten diejenigen, die Trump vom ersten Tag an diskreditiert haben, angeblich wegen seiner unkonventionellen Manieren, seiner Tweets, seiner beleidigenden Unverblümtheit, ihn sowieso diskreditiert, egal was er getan hätte. Einfach weil sie nicht die Person, sondern die Dinge hassen, für die er steht.
Das könnte auch erklären, warum die Israelis die Argumente ihrer amerikanischen Gegenspieler unkritisch übernehmen, indem sie sie buchstäblich kopieren und einfügen – copy, paste. Die zahlreichen Beispiele in den Medien zeugen davon. So kritisiert der rechtsgerichtete Shai Attar in einem Tweet die mediale Doppelzüngigkeit: “Al Gore stellt den Sieg von George W. Bush in Frage – eine Feier der Demokratie. Donald Trump stellt den ‘Sieg’ von Joe Biden in Frage – eine Schädigung der Demokratie”.
Und Yehuda Lavi, bis vor kurzem noch eine beliebte Social-Media-Persönlichkeit, hat seinen Facebook-Boykott kurz unterbrochen, um einen unglaublich pessimistischen Beitrag zu verfassen: “Wenn dieser hinterlistige Putsch durchkommt, wird es das Ende der Freiheit, das Ende des Westens, das Ende des Wohlstands sein. Wir alle werden zu Sklaven werden … die den korrupten Herren dienen … und niemand wird da sein, um uns zu helfen”.
Guy Bechor, der die Gplanet-Webseite betreibt, geht davon aus, dass die Wahlen manipuliert worden sind. In seinem Artikel vom 5. November bekräftigt er die republikanischen Theorien. “Schon vor Covid-19 zog das Establishment der (demokratischen) Partei in Erwägung, eine Volksbewegung zu gründen, die Dutzende Millionen manipulierter Stimmzettel per Post verschicken wird, um das Wahlergebnis in Staaten … zu beeinflussen, die bereits von demokratischen Gouverneuren und Bürgermeistern kontrolliert werden.”
Und “Der Schatten”, eine andere populäre rechte Person in den sozialen Medien, beginnt seinen Beitrag mit einer Zeile aus der Hatikvah, der Nationalhymne, “unsere Hoffnung ist noch nicht verloren”, um zu sagen: “Trump geht aus der Offensive und es gelingt, Betrug vor Gericht zu beweisen. Diese Wahlen werden für immer als der größte und verabscheuungswürdigste Wahlbetrug in der Geschichte der Vereinigten Staaten in Erinnerung bleiben”.
Vom anderen Ende des Spektrums drückt Nitzan Horowitz, Vorsitzender der Meretz-Partei, die Gefühle und Hoffnungen der Linken gut aus: „Meretz gratuliert dem designierten Präsidenten Biden und der designierten Vizepräsidentin Harris zu ihrem beeindruckenden Wahlsieg – ein Strahl der Hoffnung in der gesamten Welt. Nach 4 Jahren voller Lügen und Intoleranz ist die Zeit für eine ehrliche Führung gekommen. Möge dies ein Zeichen für einen ähnlichen Sieg in naher Zukunft in Israel sein.“
Meretz congratulates President-elect Biden and Vice President-elect Harris on their impressive victory – a beacon of hope to the entire world. After 4 years of lies and bigotry, it is time for honest leadership. May this be a sign for a similar victory soon in Israel.
יישר כוח pic.twitter.com/8G9H4TJ6b8— Nitzan Horowitz نيتسان هوروفيتس ניצן הורוביץ (@NitzanHorowitz) November 7, 2020
Micky Gitzin, Exekutivdirektor des New Israel Fund, schreibt, als sei er ein amerikanischer Staatsbürger, der für Biden gestimmt hat: “Die Reden von Präsident Biden und Vizepräsidentin Harris waren bewegend und einigend und konzentrierten sich auf soziale Heilung und die Zukunft der amerikanischen Gesellschaft.“ Gitzin machte sich nicht einmal die Mühe, vom „zukünftigen“ Präsidenten zu sprechen, mal abgesehen davon, dass Biden nur von den Medien zum Sieger erklärt worden ist, nicht von der zuständigen Behörde, nämlich dem Electoral College.
הנאומים של הנשיא ביידן וסגנית הנשיא האריס היו מרגשים ומאחדים, הם התמקדו בשיקום חברתי ובעתיד של החברה האמריקאית. מעט מאוד אני, הרבה מאוד אחריות וממלכתיות. תהיה לסגנון הזה השפעה הרבה מעבר לארה”ב, כמו שהטרמפיזם לא עצר בגבולות המדינה כך גם יהיה עם משב הממלכתיות.
— Mickey Gitzin (@Mickeygitzin) November 8, 2020
Die gleiche Art von Begeisterung ist vom Knesset Abgeordneten Yair Golan zu hören: „Ich werde der Verbündete des Lichts und nicht der Dunkelheit sein’ – das hat Biden vor einigen Wochen gesagt. Es ist auch an der Zeit, dass Israel aus der Dunkelheit ins Licht geht, und das Licht scheint nicht von rechts. Wenn wir auf der Suche nach Leben sind, sollten wir an den Werten des Fortschritts festhalten … die Zeit der Angst ist vorbei, die Zeit der Hoffnung, der Erneuerung und des Aufbaus ist gekommen”.
“אני אהיה בעל ברית של האור, ולא של האפלה” – כך אמר ביידן לפני מספר שבועות. הגיע הזמן שגם ישראל תצא מאפלה לאור, והאור לא זורח מימין. אם חפצי חיים אנחנו, עלינו לדבוק בערכים של קדמה, ערבות הדדית, ביטחון עצמי ותקווה. תמה תקופת החרדה, הגיעה עת תקווה הגיע זמן התחדשות ובנייה. pic.twitter.com/Qtd94XzoqH
— Yair Golan – יאיר גולן (@YairGolan1) November 7, 2020
Solche Tweets und Beiträge, Artikel und Interviews zeigen ohne Zweifel, dass auch Israel wie Amerika in einer Art kaltem Bürgerkrieg gefangen ist, in dem um Werte gekämpft wird, von denen man hofft, dass sie nie übernommen werden, während die anderen hoffen, dass sie schon morgen umgesetzt werden. Wie oben gezeigt, stößt das progressive Licht in Israel auf Angst in den Herzen der Rechten, die im Gegensatz zu Amerika, das in der Mitte gespalten ist, hier in Israel immer noch die eindeutige Mehrheit bilden.
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