
Unter den Pionieren der modernen messianischen Bewegung gab es im 19. Jahrhundert einen als unangepasst geltenden Prediger mit Namen Ridley Herschell. Der in Polen geborene Jude hatte sich als Student auf den Weg nach London gemacht und wurde dort einer der anerkanntesten Geistlichen, der sogar in High Society Kreisen verkehrte. Seine größte Leidenschaft bestand darin, das Evangelium zu predigen, besonders unter seinen eigenen Leuten.
In Paris hatte er wie durch einen Zufall die Wahrheit über Jesus herausgefunden, als ihm ein Abschnitt aus einem Buch in die Hände fiel, das seinen Leuten verboten war: dem Neuen Testament. Er hatte Einkäufe in einem Geschäft erledigt, wobei einige Sachen in Packpapier eingewickelt worden waren, darunter eine Seite aus einer großen Bibel, die Passagen der Bergpredigt enthielt, wie Jesu Aussage aus Matthäus 5,4: „Glückselig sind die Trauernden, denn sie sollen getröstet werden!“
Zu diesem Zeitpunkt hieß Ridley noch Haim. Er hatte gerade seine Mutter verloren, die in seiner alten Heimat gestorben war. Noch nicht einmal zu ihrem Begräbnis hatte er fahren können.
“Tabu”-Glaube
Als seiner Familie zu Ohren kam, dass er nun an Jesus glaubte, wurde er prompt enterbt. Jahre später sollte es ihm mithilfe seiner schottischen Frau Helen allerdings gelingen, sich wieder mit seiner Familie zu versöhnen. So weit sogar, dass sich einige seiner Brüder ebenfalls seinem Glauben anschlossen und Prediger wurden.
Helen wiederum erlitt aufgrund ihrer Beziehung zu dem jüdischen „Rabbi“ viele Repressalien. Sie lernte fließend Hebräisch und schrieb Ridleys Vater in dieser alten jüdischen Sprache einen Brief, in dem sie ihm den messianischen Glauben erklärte. Der Vater öffnete daraufhin sein Herz.
Erfolg auf der Kanzel
Herschell gelang es, sich einen angesehenen Ruf als Prediger aber auch als Schriftsteller zu verschaffen. Und das, obwohl er sich zeitweise von kontroversen Predigern wie Edward Irving, einem Vorläufer der Pfingsbewegung, oder geistlichen Größen wie Robert Murray McCheyne beeinflussen ließ. Großzügige Bewunderer unterstützten ihn finanziell.
Er leitete Gemeinden in Brampton, Huntingdonshire, und Leigh-on-Sea, nahe Southend, sowie in verschiedenen Gegenden von London und ließ sich schließlich in Marylebone nieder, wo er die Trinity Chapel in der John Street an der Edgware Road leitete.
Er war einer der Gründer der Evangelischen Allianz und der Christlichen Zeugen für Israel. Sein ältester Sohn wurde gar Parlamentsmitglied, nicht lange, nachdem es den Juden erstmals gestattet war, in das Parlament einzuziehen. Später wurde dieser der erste Baron Herschell of Durham und Justizminister in England.
Menschenfischer
Seine größten Spuren hinterließ Herschell im Fischerdorf Leigh. Dies erinnert sehr an die Fischer zu Jesu Zeiten, seine ersten Jünger, die ebenso „Menschenfischer“ waren. Die hartgesottenen Fischer in Leigh reagierten anders als erwartet auf den klugen und sanften Juden. Ihm gelang es, sie zu erreichen, besonders einen riesigen, stämmigen Kerl namens Michael Tomlin, dessen Herz von der Botschaft Jesu regelrecht durchdrungen wurde und der später Pastor einer örtlichen Methodistengemeinde wurde. Sein Ur-urenkel ist Geoffrey Henderson, der eine Biographie über Ridley herausgebracht hat, die 2006 unter dem Titel „All Love“ erschienen ist, und auf deren Inhalt dieser Artikel basiert.
Jenseits des christlichen Antisemitismus
Dass Ridley sich zum Christentum bekehrt hat – was von Juden ja noch immer als Abfall vom Glauben gewertet wird – ist umso überraschender, zieht man den Antisemitismus in Betracht, dem er in Polen als Kind ausgesetzt war. Eine Cousine war von Nonnen regelrecht gekidnappt worden. Sie sollte bei ihnen eigentlich nur Nähen lernen, doch die Nonnen überredeten sie, sich als Christin taufen zu lassen und weigerten sich, das Mädchen ihren Eltern zurückzugeben!
Zweimal reiste Ridley ins Heilige Land. Sowohl die Reise dorthin als auch der Aufenthalt gestaltete sich damals als äußerst schwierig. In Jerusalem freundete er sich mit dem neuen Jerusalemer Bischof Michael Solomon Alexander an, und zwar als Botschafter von der Londoner Gesellschaft für die Verbreitung des Christentums unter Juden, bekannt als CMJ (Kirchlicher Dienst unter Juden).
Er sah es als bemerkenswertes Zeichen der Zeit, dass „ein Jude von der mächtigsten Nation auf Erden als Bischof nach Jerusalem ausgesandt wird“. Nach England kehrte er „voller Hoffnung und Erwartung für sein Volk“ zurück. Zuvor war er noch an der Errichtung eines CMJ-Zentrums in Jaffa beteiligt. Das Zentrum mit dem Namen Beit Immanuel spielt bis heute eine aktive Rolle bei der Verbreitung des Evangeliums.
Wiederherstellung einer jüdischen Glaubensgrundlage
Ridleys Reisen haben sowohl seine Liebe für das jüdische Volk als auch seinen Glauben an die Wiederherstellung Israels vertieft. Es gelang ihm, den Ton für eine moderne messianische Denkweise anzugeben, als er 1857 auf der 3. Evangelischen Allianz Konferenz in Berlin sagte:
„Ich glaube, wir sollten als christliche Israeliten mit aller Kraft danach streben, unsere ausgeprägte Nationalität zu bewahren. Wir müssen unseren Brüdern zeigen, dass wir Christen werden aber trotzdem Juden bleiben können. Unser nationales Leben und die Erwartungen basieren auf dem Wort und der Verheißung Gottes und können nie aufgegeben werden.“
Sein Standpunkt reflektiert ganz eindeutig die Denkweise derer, die ihm nachfolgten, nämlich dass viele Christen ihre jüdischen Wurzeln aus den Augen verloren haben. [Anmerkung der Red.: Leider ist dies auch unter jüdischen Gläubigen in Israel zu beobachten, siehe “Ist die Zukunft der Messianer jüdisch?“] Der Autor der Biografie unterstreicht diese Aussage mit dem Fakt, dass schon zur Zeit des Ersten Konzils von Nicäa im Jahr 325 n.Chr. nicht ein einziger der 318 anwesenden Bischöfe jüdisch war!
Als Ridleys Ehefrau, sie war 10 Jahre älter als er, im Alter von 56 Jahren starb, brach eine Welt für ihn zusammen. Trotzdem heiratete er wieder, und zwar eine reiche alte Jungfer namens Esther, durch die er in noch höhere Kreise aufstieg. Während der Hochzeitsreise wurde er sogar vom preußischen König empfangen.
Ridley war ein demütiger Diener Gottes. Selbst die Polizei lag ihm am Herzen. Er war allerorts so beliebt, dass zu seiner Beerdigung im Jahr 1864 sogar 300 Polizisten (die, die man aus der Einheit entbehren konnte) Spalier standen. Ridley wurde 57 Jahre alt.
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