
Vor den Hohen Feiertagen besuchen mich immer orthodoxe Juden, in der Hoffnung, eine Spende für ihr Werk von uns zu bekommen. Den meisten überreichen wir auch eine Spende, denn jeder hat seine Geschichte, aber Zeit für eine angeregte Unterhaltung kann ich mir nur für wenige nehmen.
In den letzten Jahren verbringe ich beispielsweise Zeit mit dem chassidischen Rabbi David (37), der nicht nur vor den Feiertagen bei uns auftaucht, sondern auch mal so vorbeischaut, wenn er in der Nähe unserer Redaktion ist. Warum habe ich Zeit für ihm, ist eine gute Frage. Unsere Gespräche sind einfach offen, heiter und tief. Wir sprechen über vieles, wie Familie, Politik, Glaube und Heuchelei in unserer Umgebung. Er schafft es sogar, mir ab und zu neue Einblicke in Bibelstellen zu vermitteln.
So wie David tauchen bei mir eigentliche viele Typen auf, die mir tagsüber die Zeit stehlen. Doch wenn Israel Ehrlich bei mir vorbeikommt, gehe ich mit ihm gerne Mittagessen. Ehrlich ist 40 Jahre alt und hat zwei Jahren lang die offenen Wunden meines Vaters gepflegt, Tag für Tag. Er kommt aus der chassidischen Gur Bewegung und verließ die Orthodoxie als er 17 war. Heute ist er Vater dreier Kinder und säkular. Mit seinen Eltern ist er deswegen bis heute nicht in Kontakt. Meinen Vater hat er nur via Augenkontakt kennengelernt. Wir haben Israel viel zu verdanken. Er zeigte mir, was für eine tiefe Liebe Menschen verschenken können. Unsere Dialoge sind offen für alles und ich verstehe, dass er bis heute noch Verletzungen aus seinem früheren Leben mit sich herumschleppt.
Auch für den arabischen Taxifahrer Ayman nehme ich mir Zeit. Er ist Moslem und wohnt auf dem Ölberg. Er fährt unsere Gäste in die Palästinensergebiete. Wir sind gute Freunde, aber über den jüdischen Tempelplatz in Jerusalem sind wir uns nicht eins. Aus seiner Sicht hat dort niemals ein Tempel gestanden, weder der erste noch der zweite. In diesem Punkt sind wir uns nicht einig und dennoch trinken wir Kaffee zusammen. Ist besser als schießen. Und Khaled, der jahrelang in unserem Büro gearbeitet hat, arbeitet heute bei Nespresso. Sobald er vor mir sitzt und redet, wirke ich wie hypnotisiert. Er redet und redet, nur manchmal werfe ich ein Wort ein. Ich liebe seine Geschichten, ob die nun wahr sind oder nicht, ist mir ganz egal. Ich mag ihn als Mensch.
Arik Weiß ist ein Jerusalemer Jude, aber er gehört der orthodoxen Kirche in Rumänien an. Vor dem Essen macht er immer ein Kreuzzeichen. Für meine Freunde, die Arik kennen, ist er ein absoluter Outsider, aber das ist egal, denn wir beide haben immer impulsive Sessions. Er ist kein leichter Typ, für ihn muss man schon Geduld und Kraft haben. Dann kommt fast jeden Sonntag mein Freund und Gitarrist Guy Ronny (auf dem Bild oben) bei mir vorbei . Zuerst macht er sich ein Kaffee in der Redaktion und dann hält er mich auf. Er ist über 60 und hat lange, schwarzgefärbte Haare. Er ist einer Jerusalemer Rocker. Wir können über Jesus, Rockmusik und alles dazwischen reden. Auch wenn ich ihn manchmal rausschmeißen muss, so mache ich das aus Liebe, denn ich mag ihn sehr.
Wie sagt meine Frau Anat: „Keiner hat mehr Geduld für exotische und kuriose Menschen, wie du. Du ziehst sie wie ein Magnet an“. Kann sein, aber diese Menschen reizen mich. Es klickt einfach zwischen uns. Zudem bin ich mir sicher, dass jeder Mensch (ich auch) einen Kratzer hat, nur die meisten wissen diesen besser zu verstecken. Jeder einzelne ist ein Charakter, originell und lieb. Also, nun wisst ihr es, das ist die Clique von Typen, die mich ab und zu vom Schreiben abhalten.
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